Sie wurde nach einem gemeinsamen Abendessen von Prof. Wolfram Kinzig (Bonn) eröffnet, der in das Tagungsthema einführte. Kinzig definierte den Begriff „soft power“, der auf den amerikanischen Politikwissenschaftler und Politiker Joseph Nye zurückgeht, als eine Einflussnahme ohne körperliche Gewalt, die im Rahmen der Tagung vor allem im christlichen und jüdischen Kontext betrachtet werden sollte. Zu fragen sei, wie sich durch den Einsatz von „soft power“ Formen von Hierarchien und asymmetrischen Abhängigkeiten herausgebildet hätten. Dabei sei „soft power“ durch drei Eigenschaften gekennzeichnet: Sie entstehe zwischen zwei oder mehreren Akteur*innen, basiere auf der Fähigkeit des einen, den anderen zu kontrollieren und werde normalerweise von institutionellen Kontexten unterstützt, sodass das Machtgefälle erhalten bleibe.
Nach dieser kurzen Einführung hielt Kinzig auch den ersten Vortrag mit dem Titel „Was müssen wir glauben? Synodale Autorität und dogmatischer Zwang in der Alten Kirche“. Er analysierte das Phänomen der „soft power“ in der Alten Kirche anhand des Phänomens des Anathems (Griechisch ἀνάθημα für Bannfluch). Als prominentes Beispiel führte Wolfram Kinzig dafür das Anathem des Bekenntnisses von Nizäa an, das zum Schluss alle Irrlehren in Bezug auf das Verhältnis von Vater und Sohn mit einem Fluch belegt. Kinzig betonte, dass das Anathem weder mit der Exkommunikation gleichzusetzen sei noch die Folgen genau spezifiziert worden seien. Da die Reichsbevölkerung im Westen wohl nur über ein theologisches Minimalwissen verfügt habe und ihr die Hintergründe der Glaubensbekenntnisse kaum im Detail bekannt gewesen seien, stufte er die Kraft der Anathemata als eher „soft“ ein. Vielmehr dienten sie in erster Linie als rhetorisches Mittel in innerklerikalen Streitigkeiten.
Prof. Lutz Doering (Münster) eröffnete den zweiten Tag der Tagung mit einem Vortrag zur „Autorität und (Soft) Power in Texten aus Qumran“, wobei er ein besonderes Augenmerk auf den autoritativen Charakter der Damaskusschrift und der Gemeinschaftsregel richtete. Beide Schriften halten Regeln und Pflichten sowie Ämter und Rangordnungen für die Gemeinschaft fest. In den Schriften werden aber genauso Strafen für Vergehen festgehalten, angefangen von zeitweisen Ausschlüssen bei Festen oder Versammlungen bis hin zu Essensrationierungen oder einem dauerhaften Ausschluss. Da die Schriften teils lebensbedrohliche Strafen für Vergehen vorsahen, könne der Charakter der Damaskusschrift und der Gemeinschaftsregel, so Doering, auch als autoritär beschrieben werden.
Danach folgte der Vortrag „Macht durch Ausschluss. Geistliche und pragmatische Autorität der Kirche in Gallien (550-750 n. Chr.)“ von Dr. Julia Winnebeck (Bonn). Sie ging darin anhand von Bußbüchern der Frage nach, mit welcher Autorität die Kirche in der Spätantike und dem frühen Mittelalter die Buße durchführte. Dabei unterschied sie einerseits pragmatische und andererseits geistliche Autorität. So müsse man das Phänomen der Buße als eine Verschränkung weltlicher und geistlicher Macht verstehen, da sie sowohl dem sozialen Ausgleich als auch der Seelenrettung gedient habe.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen folgte eine Reihe von Kurzvorträgen. Zuerst referierte Johanna Schwarz (Bonn) über das Thema „Zwischen Herrscher und Hirte. Autorität und Verantwortung des frühmittelalterlichen Abtes im Spannungsfeld theologischer Konzepte“. Anhand der Regula Benedicti charakterisierte Schwarz die Rolle des Abtes im Frühmittelalter als vices (Stellvertreter) Christi, der die Mönche mit Charisma als Vorbild geleitet habe, als Christus medicus, der sich um das Seelenheil im Kloster gekümmert habe, als guter Hirte, der für seine Herde Sorge tragen musste, und als miles Christi, der seine Soldaten gegen die mythischen Mächte der Sünde als Feldherr in den Kampf geführt habe. In struktureller Hinsicht betonte sie, dass der Abt im Kloster in seiner discretio gegenüber den Mönchen zwischen Strafe und Nachsicht abgewogen habe, um seine Verantwortung auch in eschatologischer Perspektive wahrzunehmen. Dabei sei die Macht des Abtes auch von der Zustimmung der Mönche abhängig gewesen. Somit habe sich der frühmittelalterliche Abt in seinen Funktionen zwischen „harter“ Autorität und „soft power“ bewegt.
Der zweite Kurzvortrag „Exodus aus dem Patriarchat. Feministische Transformation jüdischer Tradition“ wurde von Reinhild Beer (Bamberg) gehalten und beschäftigte sich mit dem Thema der feministischen Bearbeitung jüdischer Rituale. Beer stellte die Transformation jüdischer Rituale anhand des Phänomens der Orange auf dem Sederteller dar. Die Orange auf dem Sederteller sei in den 1980er Jahren von Susannah Heschel als Zeichen gegen Homophobie etabliert worden sei. Später sei dies dann feministisch umgedeutet worden. Hieran beschrieb sie dann einen Dreischritt zur Entstehung feministischer Rituale, indem diese durch ein*e oder mehrere Erfinder*innen eingeführt, popularisiert und transformiert würden. Dies illustrierte sie an Beispielen von Ritualen zu Geburt, Heirat, Scheidung, Mikwe und Bat Mitzwa, die eine feministische Aktualisierung erhalten hätten.
Abschließend hielt Dr. Martin Lüstraeten (Mainz) einen Vortrag mit dem Titel „Zwischen Amt, Charisma, Autorität und Tradition. Das Ringen um Position und Aufgabe des Exorzisten in der Alten Kirche“. Lüstraeten stellte die Geschichte der Entstehung des Amtes des Exorzisten vor, von den Exorzismen in der Apostelgeschichte, über das Charisma des Exorzierens, wie Irenäus von Lyon es dargelegt habe, bis zur Tätigkeit des Exorzierens durch Bischöfe, wie es Ambrosius von Mailand schilderte. Die Hauptthese von Lüstraeten lautete, dass sich das Amt des Exorzisten im Laufe der Geschichte inhaltlich entleert habe und schließlich nur noch eine sachlich bedeutungslose Durchgangsstation im kirchlichen cursus honorum gewesen sei.
Am Abend fand im Hauptgebäude der Universität Bonn unter großem Andrang der Hauptvortrag „Die Entsäkularisierung des Zionismus – die unaufhaltsame Machtübernahme durch die israelische Orthodoxie“ von Prof. Moshe Zimmermann (Jerusalem) statt. Zimmermann referierte über den Einsatz von „soft power“ der israelischen orthodoxen und nationalistischen Bewegung mit dem Ziel der Machtübernahme im israelischen Staat. Dabei skizzierte er den Aufstieg des religiös-nationalistischen Bündnisses seit dem Sechstagekrieg und die Verschärfung des Israel-Palästina Konflikts, die bis heute anhält und immer weiter eskaliert. Besonders stellte Zimmermann hierbei die religiöse Aufladung des ursprünglich säkularen Zionismus durch das orthodoxe Judentum heraus. Dies habe seit 1977 zum Aufschwung der Siedlungsbewegung im Westjordanland und der orthodox-religiösen Durchdringung der Gesellschaft geführt. So wurde auch die säkulare Erziehung zunehmend mit nationalistisch-religiösen Elementen durchsetzt, was zu einer grundlegenden Wende in der zionistischen Bewegung geführt habe.
Der letzte Tag begann mit einem Vortrag von Prof. Julia Hillner (Bonn) zum Thema „Die Autorität der Kaiserin. Helena und jüdisch-christliche Bekehrungsnarrative“ an. Hillner zeichnete unterschiedliche Bilder der Helena in den Versionen der Erzählung von der Kreuzauffindung und den Actus Silvestri nach. Als Akteurin in den verschiedenen Versionen habe sie dabei sowohl „hard“ als auch „soft power“ angewandt.
Zuletzt hielt Prof. Susanne Talabardon (Bamberg) den Vortrag „Die paradoxe Macht der Ohnmächtigen“, der sich mit Machtstrukturen in chassidischen Gemeinden und dem Amt des Zaddiks auseinandersetzte. Von einem ehemals gesellschaftskritischen Amt eines Tora-Auslegers für die Gemeinde habe der Zaddik sich zur Figur eines Gott-Mensch-Mittlers entwickelt, der eine zentrale Machtposition innerhalb der Gemeinde eingenommen habe.
Die Tagung wurde durch eine Diskussion abgeschlossen, in der die Teilnehmer*innen noch einmal das Thema „Autorität und ‚soft power‘“ aufgriffen. Hauptthema der Diskussion war der Mehrwehrt des Begriffs und die Frage, ob der der Politikwissenschaft entstammende Begriff präzise genug sei, um historische Phänomene hermeneutisch gewinnbringend zu beschreiben.
(Text von Claas Both)