03. November 2022

Rückblick auf die dritte Jahrestagung Rückblick auf die dritte Jahrestagung

Ein Bericht

Ein Bericht von Johanna Bolin (TP0)

Neues aus der DFG-Forschungsgruppe
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Jetzt liegt auch die dritte Jahrestagung unserer interdisziplinären Forschungsgruppe zum Thema „Ambivalenzen in Hoffnung, Trost und Dankbarkeit“ hinter uns. Zufrieden blicken wir zurück auf die verschiedenen Vorträge, Perspektiven und Diskussionen, die unsere gemeinsame Arbeit ausmachen. Die Jahrestagung konnte als Hybrid-Veranstaltung durchgeführt werden. Vor Ort kamen etwa 30 bis 40 Professor*innen, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Studierende und Interessierte im Universitätsclub Bonn zusammen. Auch online schalteten sich weitere 30 bis 40 Menschen dazu. Über das große Interesse am gemeinsamen Austausch, sowohl in Präsenz als auch online, ist die Forschungsgruppe sehr erfreut.

 

Die dritte Jahrestagung begann am 16.06.2022 mit dem internationalen Workshop „Young Voices on Resilience“, zu dem die Forschungsgruppe drei Nachwuchswissenschaftler*innen aus verschiedenen Forschungsbereichen einlud. Den Anfang machte Alexander H. Schwan mit seinem Vortrag „Investigating spirituality and resilience in contemporary dance“. Schwan forscht an den Verbindungstellen von Spiritualität, Tanz, Resilienz und Gleichzeitigkeit. Seiner These nach können sowohl Spiritualität als auch Tanz bei der Ausbildung von Resilienz hilfreich sein. Giovanni Mansueto schloss seinen Vortrag zu Resilienz von italienischen Studierenden während der COVID-19 Pandemie an. Im Fokus standen die Vorstellung und Auswertung seiner Studie an der Universität Florenz. Den Workshop abschließend trug Ragna Winniewski ihre Präsentation „Relational self: an embodied and meaning-centered account of resilience in dementia” vor. Sie ging auf den Unterschied zwischen körperlicher und kognitiver Erinnerung bei Menschen mit Demenz ein.

 

An den Workshop anschließend eröffnete Lukas Radbruch, Professor für Palliativmedizin, als stellvertretender Sprecher die Jahrestagung, indem er kurz in die Forschungsgruppe und die Arbeit einführte. Der erste Teil der Tagung stand unter dem Thema trans- oder interdisziplinäre Forschung zu Hoffnung, Trost und Dankbarkeit. Dazu führten Lukas Radbruch, Theologin Dr. Katharina Opalka und wissenschaftliche Mitarbeiterin für Palliativmedizin Katja Maus an einem Bibeltext (Mk 15, 21-41) exemplarisch vor, wie aus Sicht verschiedener Forschungsbereiche ein und derselbe Text unterschiedlich interpretiert werden kann bzw. der Fokus ein anderer ist. Während die ersten Gedanken eines/einer Palliativmediziner*in beim Lesen des Bibeltextes sich darauf beziehen, dass die Verabreichung von Myrrhe und Wein als Schmerzmittel eingesetzt wurden, konzentriert sich ein*e Theolog*in möglicherweise zunächst auf die Ambivalenzen von Jesu Hoffnung und Verzweiflung. Danach ging Psychologieprofessorin Franziska Geiser in ihrem Vortrag auf Herausforderungen, Fehlgebrauch und Gefahren der Arbeit mit dem Resilienzbegriff ein. Beispielsweise dürfe Resilienz nicht allein als Eigenschaft verstanden werden, die sich Menschen antrainieren könnten. Dieses Verständnis berge die Gefahr, Menschen in Krisensituationen in „neoliberaler“ Manier auf die Eigenverantwortung für ihre (nicht) vorhandene Resilienz zu verweisen – in der Art „jede*r ist seines/ihres Glückes Schmied“. Resilienz sei mehr als Prozess zu verstehen.

 

Am zweiten Tag der Jahrestagung stand zunächst die Betrachtung von Trost und Dankbarkeit in spirituellen Kontexten im Mittelpunkt. Dazu hielten zunächst der Professor für Spiritual Care und Praktische Theologie, Constantin Klein, und der katholische Theologieprofessor, Jochen Sautermeister, einen Vortrag zu Ambivalenzen in Spiritualität und Dankbarkeit. Dankbarkeit könne als spirituelle Grundhaltung verstanden werden, die somit nicht vor dysfunktionaler oder missbräuchlicher Praxis geschützt sei. Dieser Missbrauch könne physisch und psychisch oder spirituell sein. Daher sei es wichtig, über missbräuchliche Strukturen aufzuklären und die Stärkung der eigenen Identität zu fördern. Christine Gerber, Professorin für Neues Testament, schloss einen Vortrag zu methodischen Überlegungen für die Erarbeitung von resilienzrelevanten Narrativen des Neuen Testaments an. Biblische Texte sind, so Gerber, als Literarisierung von Erfahrungen zu verstehen, die den Leser*innen Perspektiven eröffnen. So habe das Narrativ von Kreuz und Auferstehung vermutlich Glaubenden geholfen, für sich Resilienz zu gewinnen. Dies sei im Sinne der Fähigkeit zum Leben mit der Krise zu verstehen. Anschließend ging Soziologieprofessor Clemens Albrecht in seiner Präsentation auf den Zusammenhang von Trost und Atmosphären ein. Albrecht zufolge sind diese eng miteinander verbunden. Er versteht Atmosphären als synthetisch, emergent, diffus und fluide. Seine These ist: Um Trost spenden oder empfangen zu können, bedarf es einer Einordnung der Situation in Atmosphären.

Am Nachmittag ging es dann um den Praxisbezug von Hoffnung, Trost und Dankbarkeit. Während Franziska Geiser auf die Herausforderungen einging, wie sich die Ergebnisse von Umfragen interpretieren lassen, stellte Professor für Praktische Theologie, Eberhard Hauschildt, Erfahrungen und Berichte von Helfenden im Gesundheitswesen vor. Dazu gehören Seelsorger*innen und Pfleger*innen. Diese berichteten von Zeitknappheit, aber auch von der interdisziplinären, ganzheitlichen Betrachtung eines Menschen – und nicht nur einer Einschätzung anhand von Laborwerten. Den Abschluss des zweiten Konferenztages bildete Professorin Kathrin Seifert, die als Kunsttherapeutin in die Potenziale von Kunst und Kunsttherapie, unter der Frage, wie Kunst Menschen helfen kann, Krisen zu meistern, einführte. Kunst habe die Kraft, die handlungsorientierte Motivation zu steigern, emotionale Erlebnisse zu verbessern, positive Erinnerungen zu aktiveren, die Wahrnehmungsfähigkeiten zu entwickeln und Ressourcen zu aktivieren, so Seifert. Daher leiste die Kunst einen hohen Beitrag zur Erhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit. Dank der Vorbereitungen durch die wissenschaftliche Mitarbeiterin aus TP6, Katja Maus, wurden anschließend alle Anwesenden durch eine von ihr kuratierte Ausstellung zum Thema „Kunst und Kunsttherapie“ geführt.

Die Jahrestagung abschließend standen am Samstag kulturelle Perspektiven zu Trost und Hoffnung im Mittelpunkt der Vorträge. Den Anfang machten der Philosophieprofessor Thiemo Breyer und die alttestamentliche Exegetin Judith Gärtner. Während Thiemo Breyer auf die Kompetenz der Perspektivenflexibilität einging und in verschiedene Formen von Perspektivität, wie zum Beispiel räumliche, zeitliche oder soziale Perspektivität, einführte, zeigte Judith Gärtner anhand des Psalms 116, wie diese verschiedenen Perspektivwechsel innerhalb eines Textes durchgeführt werden. Aus der Retrospektive auf eine Notsituation wird die Krise zum Teil der Lebensgeschichte, dann wird die betende Person zum Teil der Gemeinschaft, die Krise kann anschließend überwunden werden und bleibt schließlich überwunden. Der Professor für Palliativmedizin des King’s College London, Richard Harding, schloss seinen Vortrag über Diversität und inklusive Pflegearbeit an. Er demaskierte verschiedene Verzerrungen oder Auslassungen in sogenannten evidenzbasierten Forschungen. Ähnlich wie bei Frau Geiser am Tag zuvor lag sein Fokus darauf, zu zeigen, wie anhand der Erhebung von Daten verschiedene Bias reproduziert werden. Zum Beispiel erklärte er, dass in vielen Umfragen nicht nach expliziten Erfahrungen von schwarzen Menschen im Zusammenhang mit Palliativsorge gefragt wird. Es sei jedoch sehr wichtig zu verstehen, wie wertebasiert Entscheidungen im Pflegebereich seien und von welchen Werten die Entscheider*innen ausgingen. Nur so könne man versuchen, allen Menschen dieselben Dienste anzubieten.

Abschließend teilte der Ethnologe Professor Michael Bollig Ausschnitte aus seiner Forschungsarbeit zu Trauer- und Gedenkritualen bei Himba Hirtennomad*innen im Norden Namibias. Dabei spielten kollektive Empathie und Körperlichkeit eine wegweisende Rolle in der Bewältigung und im Umgang mit Trauer und Verlust.

Die Forschungsgruppe blickt freudig auf die dritte Jahrestagung zurück und bedankt sich bei allen Teilnehmenden für den gewinnbringenden Austausch!

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